Frühwarnzeichen

Wenn ich im Vorfeld mehr über Suizid gewusst hätte, wäre ich vielleicht aufmerksamer gewesen und hätte vielleicht einige Warnsignale bei meinem Vater erkannt. Ob ich ihn dann von seinem Weg hätte abbringen können, ist natürlich eine andere Frage. Da allerdings 8 von 10 ihren Suizid ankündigen, hätte die Ankündigung meines Vaters mich vielleicht aufhorchen lassen.

 

Mein letztes Treffen mit meinem Vater… sechs Tage bevor der Anruf kam, der alles veränderte. Hätte ich doch gewusst, dass ich ihn das letzte Mal sehe, ich hätte so viel anders gemacht. Wir haben uns zum Kaffee getroffen. Auf Grund vieler Veränderungen war er sehr traurig. Sein Leben veränderte sich. Er hatte kurz vorher seinen Hund verloren, der ihm viel Lebensmut gab. Viele Veränderungen, die für ihn im Alter von 75 Jahren, sehr schwer zu begreifen waren.

  

Wir sprachen über seine Zukunft. Wie sein Leben mit den anstehenden Veränderungen weiter gehen kann. Er hat überlegt wie er sein neues Leben organisieren kann und schwankte zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Ich versuchte ihm mit unüberlegten Standardsprüchen Mut zu machen. „Das wird schon wieder.“ „Das schaffst du schon.“ Und auch wenn ich ihm meine Unterstützung angeboten habe, fühlt es sich im Nachhinein so an, als hätte ich einfach nicht genug getan.

Er erzählte mir, dass er nicht mehr schlafen kann und abends und nachts viel spazieren geht. Er sagte mir, er würde am liebsten nicht mehr leben wollen. Ich entgegnete nur, dass das doch Blödsinn ist und er sowas nicht sagen soll und dass wir das schon hinbekommen. Seine tiefe Verzweiflung habe ich nicht wahrgenommen und seine Worte habe ich nicht ernst genommen.

 

Anderseits hatte er auch viele Dinge geplant. Er hatte Ideen, wie er sein Leben angehen wollte. Ich hatte seit langer Zeit den Eindruck, dass er wieder Tatendrang hatte und auch einen gewissen Lebensmut zeigte. Heute weiß ich, dass es eher die Erleichterung war, weil er seine Entscheidung wohl schon getroffen hatte.

Als wir uns verabschiedeten ging er schon in Richtung Auto. Heute wünschte ich mir, ich wäre hinterher gelaufen und hätte ihn nochmal in den Arm genommen. Damals dachte ich, wir sehen uns ja bald wieder. Nur leider weiß man nie, wann man einen Menschen das letzte Mal sieht.

 

Zwei Tage später rief er mich an. Obwohl wir für die kommende Woche schon verabredet waren, wollte er mir dringend sagen, wo er gewisse Unterlagen aufbewahrt. Ich mache mir heute Vorwürfe, dass ich nicht bemerkt habe, dass er wichtige Angelegenheiten für sich regeln möchte. Ich habe ihm nur gesagt, dass wir uns doch nächste Woche sehen und dann alles in Ruhe besprechen können. Das war mein letztes Gespräch mit ihm…

 

Auch wenn es im Alltag oft untergeht, versuche ich doch den Menschen, die mir am Herzen liegen, dies mittlerweile so oft wie möglich zu sagen. Wie sehr wünsche ich mir, ich hätte ihm noch mehr Unterstützung angeboten, ich hätte ihm gesagt, dass ich ihn lieb habe und hätte ihn in den Arm genommen.

Ich habe immer das Gefühl, vielleicht hätte es ihn davon abgehalten, diesen Weg zu gehen, wenn ich mehr für ihn da gewesen wäre. Aber das Thema der Schuldgefühle nach einem Suizid thematisiere ich in einem neuen Beitrag…

 

Hier ein paar Frühwarnzeichen, die ich bei meinem Vater erkannt habe:

  • 8 von 10 Personen kündigen ihren Suizid an. Es stimmt nicht, dass die die es ankündigen es dann nicht machen.
  • Kurz vorher fühlen sich die Menschen oft besser, denn sie haben die Entscheidung getroffen, was eine Erleichterung für sie darstellt. Sie haben ihren Frieden mit ihrer Entscheidung getroffen und fühlen sich deshalb besser.
  • Sie räumen auf. Sie erledigen wichtige Dinge. Sie regeln persönliche Angelegenheiten.
  • Sie zeigen Hoffnungslosigkeit. „Das Leben hat keinen Sinn mehr“. „Ich weiß nicht wie ich das schaffen soll.“
  • Kleinigkeiten, die lösbar sind, scheinen für Betroffene unlösbar zu sein.
  • Einschneidende Lebensereignisse: Trennung vom Partner_in, Verlust eines geliebten Menschen oder Haustiers, Jobverlust, schwere Erkrankung können Suizidgedanken auslösen.
  • Suizid in der Familiengeschichte kann einen Suizid begünstigen.

 

Das sind die Punkte, die mir im Nachgang bei meinem Vater aufgefallen sind. Ich kann keine vollständige Liste aller Frühwarnzeichen auflisten, aber seid bitte auch bei folgenden Punkten aufmerksam:

  • Plötzliche Stimmungsschwankungen
  • Gefährliches Verhalten und kein Acht geben mehr auf die eigene Gesundheit
  • Sozialer Rückzug, Lustlosigkeit oder Veränderungen in der täglichen Routine
  • Energielosigkeit

 

Wenn ihr solche Anzeichen erkennt, sprecht das Thema an! Nur reden hilft!

 

 

#suizidprävention #redentutgut #angehörigevonsuizid

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Kommentare: 3
  • #1

    Katrin (Samstag, 21 März 2020 15:15)

    Deine Geschichte ähnelt der meinen so sehr. Ich würde dich gern privat anschreiben.
    Papa hat es im Nachhinein irgendwie auch angekündigt, obwohl es eigentlich ein purer Affekt Suizid war.

  • #2

    Katharina von Seelennebel (Samstag, 21 März 2020 15:56)

    Liebe Katrin, es tut mir sehr leid. Schreib mir gerne auf info@seelennebel.de
    Ich nehme dann Kontakt zu dir auf.

  • #3

    Heike (Freitag, 12 Februar 2021 16:35)

    Dieses Ankündigen ist ein Hilfeschrei aber es wird oft im Alter gesagt " Ach wenn doch bloß bald das Ende kommen würde" usw.
    Wenn ich mit einer Sache nich klar komme sagt mein Kleiner immer: " So ist das Leben Mama, was willste machen" wie ein erfahrener Mensch. Er versucht mich zu trösten und meinte neulich " ach dad wird schon wieder "